Wie üblich begab ich mich auf den Schulweg. Ich war jedoch überrascht, so viele Leute auf der Straße zu sehen. Fast immer kamen sie mir aus der Richtung der Schule bzw. der Synagoge entgegen. Die meisten von ihnen sahen glücklich aus, einige lachten.
Plötzlich kam ein älteres Mädchen gerannt und erzählte mir, daß die Synagoge im Flammen stünde und daß ich unverzüglich nach Hause zu meiner Mutter gehen solle. […] Bald stellten wir [Ilse B. Mann und ihre Eltern] fest, daß der Lärm immer näher rückte. Ich sah, wie Leute, die erbeutete Haushaltsgegenstände schwenkten, die Straße hinunterliefen. Dann hieß mich meine Mutter, in den hinteren Teil des Hauses zu gehen, um vor etwaigen Glasscherben sicher zu sein.
Mein Vater kam herein, um sich zu verabschieden. Ich bemerkte, wie blaß er aussah. Er sagte, ich solle meine Hausaufgaben für Englisch machen, eines Tages könne ich die Sprache vielleicht noch gut gebrauchen.
Als nächstes kann ich mich daran erinnern, wie meine Mutter hereinkam, mir ein Köfferchen in die Hand gab und sagte: ‚Geh zu den Schneiders!‘ […]
Ich lebte kurze Zeit bei diesen Freunden wie ein Familienmitglied. Jedoch hielt ich mich dort immer im Haus auf und versteckte mich im oberen Stockwerk, wenn Besuch kam click now. Ich blieb bei dieser Familie so lange, bis meine Unterlagen kamen, die mir ermöglichten, Deutschland zu verlassen und nach England zu gehen.
Nachdem mein Vater ins Haus zurückgekehrt und von der Polizei mitgenommen worden war, erschien am gleichen Tag etwas später der Mann, der meinem Vater das Geschäft abgenommen hatte und verlangte von meiner Mutter das Auto. Sie sagte ihm, daß mein Vater die Schlüssel und Zulassungspapiere bei sich habe, und wer weiß, wo sich mein Vater befände. Er mußte mit leeren Händen gehen, aber später, bevor meine Eltern Deutschland verließen, bekam er das Auto.
Zit. nach Keim, Anton Maria (Hg.): „Als die letzten Hoffnungen verbrannten…“. Dokumentation zu einem Projekt der Stadt Mainz, Mainz 1988, S. 119-120.