„Herr Nachbar, hawwe Sie den schon?“

„Es war ein Donnerstag; ich war nicht Schulen (=in die Synagoge) gegangen, da ich mich nicht so wohlfühlte hop over to this site. Bald darauf kam Herbert von dort zurück und berichtete: ‚Die Synagoge brennt!‘ Alsbald rief ein Nachbar vom gegenüberliegenden Haus, Otto Metzger, herüber, daß auch die Synagoge in der Hindenburgstraße in Brand stehe. (…)

Wir saßen nun zu Hause, als gegen Mittag der Verwalter des Israelitischen Krankenhauses, Herr Klein, telefonierte, ich müsse sofort hinkommen, es seien Verletzte eingeliefert worden er könne keinen Arzt erreichen, er wisse nicht, was zu machen. Ich sagte, ich sei doch auch kein Arzt und könne nicht helfen, aber er drängte, er könne keine Verantwortung übernehmen, ich müsse kommen. […] Ich war aber kaum im Krankenhaus angekommen, als ich am Telefon verlangt wurde; eine barsche Stimme wollte wissen, ob ich der Herr Cahn sei und im Krankenhaus wäre: ‚Sagen Sie die Wahrheit, sonst schlagen wir alles kurz und klein.‘ [Mittlerweile wurde Cahns Wohnung zerstört. Seine Familie erreichte er erst nach einiger Zeit, da seine Mutter den Telefonapparat erst unter den Trümmer herausholen musste. Jacob Cahn kehrte nach Hause zurück.]

Vor dem Haus sah ich Möbelstücke, die aus dem zweiten Stock herunter geworfen worden waren, und als ich unter diesen den großen Klubsessel aus dem Herrenzimmer inspizierte, fragten mich zwei der Plünderer höflich: ‚Herr Nachbar, hawwe Sie den schon?‘ Sie glaubten, ich wolle mich auch an dem Raub beteiligten. Da ich gesehen hatte, daß der Sessel unheilbar kaputt war, lehnte ich den Vortritt ab. […]“

Jacob Cahn war stellvertretender Vorsitzender einer Mainzer Israelitischen Gemeinde.

 

Quelle: Keim, Anton Maria (Hg.): „Als die letzten Hoffnungen verbrannten…“. Dokumentation zu einem Projekt der Stadt Mainz […]. [vermutlich Mainz 1988]. S. 111-112.

Aus dem NS-Kurier (11.11.1938)

Der gerechte Volkszorn übt Vergeltung

In Stuttgart waren es gegen 3 Uhr in der Frühe, als sich der mondbeschienene Himmel vom Flammenschein rötete. Die Synagoge in der Hospitalstraße brannte lichterloh […] Das nächtliche Schauspiel hatte verständlicherweise noch viele Zuschauer angelockt. Überall empfand man Freude darüber, daß auf diese Weise wenigstens ein ganz bescheidener Bruchteil der Verbrechen der Juden eine Sühne findet. […] Um die Mittagsstunden waren die Ansammlungen der erregten Menge so stark, daß auf der Königsstraße der Kraftfahrzeugverkehr umgeleitet werden mußte. Die Eingänge zu den Geschäften waren von SS-Posten besetzt. Nun trat die SS als Ordnungsmacht auf. Die Besitzer der demolierten Geschäfte wurden aufgefordert, die leeren Öffnungen mit Brettern zu verschalen.“.

 

Quelle: DIPPER, Theodor, Die Evangelische Bekenntnis-Gemeinschaft in Württemberg 1933-1945. Arbeiten zu Geschichte des Kirchenkampfes. Band 17. Göttingen 1966. S. 20-30.

Zerstörung von Synagogen vor November 1938

Nicht nur während der Novemberpogrome wurden Synagogen zerstört: Unter anderem in Nürnberg und München bereits im Sommer 1938, ganz offiziell, mit Vorwarnung, zur „Stadtverschönerung“.

Die Zerstörung jüdischer Sakralbauten begann aber nicht erst im November 1938. So sind mindestens 67 Synagogen schon vor dem 9.11.1938 von den Nazis geschädet bzw. zerstört worden. Als frühes Beispiel ist die Synagoge in Hildburghausen (Thüringen) zu nennen, die 1933 von den Nazis enteignet und im gleichen Jahr abgerissen wurde. In Hamburg erfolgte 1934 der Abbruch der Synagoge Köhlhofen unter dem Vorwand der Stadtsanierung. 1938, jedoch vor dem Novemberpogrom, wurden mindestens 31 Synagogen zerstört oder geschändet. Im Sommer 1938 sind vier große Gotteshäuser auf Veranlassung der Nationalsozialisten abgerissen worden. Es waren die Hauptsynagogen in München […], Kaiserslautern, Nürnberg und Dortmund.

(Aus: Grellert, Marc: Immaterielle Zeugnisse. Synagogen in Deutschland. Potentiale digitaler Technologien für das Erinnern zerstörter Architektur. Bielefeld 2007. S. 82. Bei google books zum Teil digitalisiert.)

 

Im Folgenden möchte ich den Abriss der vier zuletzt genannten Synagogen kurz zeitlich darstellen:

Die Münchner Hauptsynagoge

Die Münchner Hauptsynagoge am Lenbachplatz befand sich neben dem Künstlerhaus.

Die Hauptsynagoge in München 1889.

Die Hauptsynagoge in München 1889.

Grund genug für Adolf Hitler, ihren Abriss bis zum 8. Juni 1938, dem „Tag der deutschen Kunst“, zu fordern, denn München sollte Hauptstadt der „Bewegung“ werden. So erhielt die Israelitische Kultusgemeinde in München am Beginn des Juni 1938 die Mitteilung, sie müsse das Anwesen der Münchner Hauptsynagoge für 100.000 Reichsmark an die Stadt München abtreten. Wenige Tage später, am 8. Juni, bekam sie die Abrissverfügung, aber folgenden Tag wurde diese in die Tat umgesetzt. Vorher konnte die Gemeinde allerdings die Kultgegenstände noch aus der Synagoge holen und sichern. Zwei weitere Grundstücke in der Herzog-Max-Straße 3 und 5 erhielten mussten sie ebenfalls verkaufen, für  85.000 Reichsmark und wurden von „Lebensborn“ bewohnt, einer von der SS getragener Einrichtung.

Heute erinnert an der Straßenecke Herzog-Max-Straße und Maxburgstraße seit 1969 ein Gedenkstein an die Hauptsynagoge. Der Verkauferlös für die Erweiterung eines Warenhauses für 20,5 Mio. Euro kam dem Bau des Neuen Jüdischen Zentrums auf dem Münchner Jakobsplatz zugute.

 

Die Nürnberger Hauptsynagoge

 

Die Synagoge in Nürnberg.

Die Synagoge in Nürnberg.

In Nürnberg wurde die Hauptsynagoge am Hans-Sachs-Platz mit dem dazugehörigen Gemeindehaus am 10. August 1938 abgebrochen. Hier war es Gauleiter Julius Streicher, für den die Synagoge das Stadtbild vermeintlich verschandeln würde. Daher ordnete bereits im am 15. Juni 1938, kurz nach der Münchner Hauptsynagoge, ihren Abriss an. Dieser zog sich allerdings in Nürnberg über einen Monat hin. Grund waren mehrere Unterbrechungen wegen des Reichsparteitages.

Das Grundstück wurde nicht verkauft, im Zuge der Stadtplanung nach 1945 aber überbaut.

Seit 1988 erinnert aber ein Gedenkstein an die Synagoge.

 

Die Kaiserslauterner Synagoge

Die Kaiserlauterner Synagoge lag an der Fischerstraße (1938 Dr.-Frick-Straße). Auch

Die Synagoge in Kaiserslautern 1890.

Die Synagoge in Kaiserslautern 1890.

hier musste die Synagoge weichen, da sie das Aussehen der Stadt angeblich störte. Die pfälzische Stadt sollte Gauhauptstadt werden und die Paraden der Fischerstraße entlang führen, d.h. auch an der Synagoge vorbei. Mit dem Vorwand, das jüdische Gotteshaus würde den Ausbau der Straße für die Paradenaufmärsche behindern, wurde sie abgerissen. Nachdem am 29. August 1938 ein Abschiedgottesdienst gehalten werden durfte, wurde das Gelände an die Stadt verkauft und anschließend am 31. August abgerissen. Danach erfolgten zwei Sprengungen. ((Es gibt widersprüchliche Daten zu Abriss und Sprengung(en). Die hier wiedergegebene Angaben basieren auf https://www.alemannia-judaica.de/kaiserslautern_synagoge.htm#Die neue Synagoge (1886 bis 1938.))

In der Nachkriegszeit erhielt die jüdische Gemeinde von Kaiserslautern eine Abfindung in sechsstelliger Höhe, in den 1980er Jahren wurde das Grundstück der früheren Synagoge zu einem Platz umgebaut, der treffend Synagogenplatz genannt wurde. Ein Gedenkstein und eine Buchsbaumhecke erinnern an Standort und Grundriss des Gotteshauses.

 

Die Dortmunder Synagoge

Die Synagoge in Dortmund 1905.

Die Synagoge in Dortmund 1905.

Auch in Dortmund musste die Synagoge aus den gleichen Gründen weichen. Ausgerechnet gegenüber der Synagoge bezog die NSDAP der späteren Gauhauptstadt von Westfalen in Quartier. Die jüdische Gemeinde wurde zum Verkauf des Grundstücks gezwungen, das Geld anschließend beschlagnahmt. Nachdem kurz vor den Novemberpogromen, am 19. Oktober 1938, die Kuppel gesprengt wurde, wurde sie kurz vor Ende des Jahres vollständig abgerissen. Ein Gedenkstein und eine Gedenktafel erinnern an ihren früheren Standort.

 

Bildnachweise:

Wolfgang Rieger: Synagogue at Herzog-Max-Strasse in Munich. View from Lenbachplatz (1889). CC pd.

Unbekannt: Nürnberger Synagoge, erbaut 1874. CC pd.

Unbekannt: Synagoge Kaiserslautern 1890. CC pd.

Unbekannt: Deutschland, Dortmund, Synagoge am Südwall, Postkarte von 1905. CC pd.

Erinnerungen von Ilse B. Mann aus Mainz

Wie üblich begab ich mich auf den Schulweg. Ich war jedoch überrascht, so viele Leute auf der Straße zu sehen. Fast immer kamen sie mir aus der Richtung der Schule bzw. der Synagoge entgegen. Die meisten von ihnen sahen glücklich aus, einige lachten.

Plötzlich kam ein älteres Mädchen gerannt und erzählte mir, daß die Synagoge im Flammen stünde und daß ich unverzüglich nach Hause zu meiner Mutter gehen solle. […] Bald stellten wir [Ilse B. Mann und ihre Eltern] fest, daß der Lärm immer näher rückte. Ich sah, wie Leute, die erbeutete Haushaltsgegenstände schwenkten, die Straße hinunterliefen. Dann hieß mich meine Mutter, in den hinteren Teil des Hauses zu gehen, um vor etwaigen Glasscherben sicher zu sein.

Mein Vater kam herein, um sich zu verabschieden. Ich bemerkte, wie blaß er aussah. Er sagte, ich solle meine Hausaufgaben für Englisch machen, eines Tages könne ich die Sprache vielleicht noch gut gebrauchen.

Als nächstes kann ich mich daran erinnern, wie meine Mutter hereinkam, mir ein Köfferchen in die Hand gab und sagte: ‚Geh zu den Schneiders!‘ […]

Ich lebte kurze Zeit bei diesen Freunden wie ein Familienmitglied. Jedoch hielt ich mich dort immer im Haus auf und versteckte mich im oberen Stockwerk, wenn Besuch kam click now. Ich blieb bei dieser Familie so lange, bis meine Unterlagen kamen, die mir ermöglichten, Deutschland zu verlassen und nach England zu gehen.

Nachdem mein Vater ins Haus zurückgekehrt und von der Polizei mitgenommen worden war, erschien am gleichen Tag etwas später der Mann, der meinem Vater das Geschäft abgenommen hatte und verlangte von meiner Mutter das Auto. Sie sagte ihm, daß mein Vater die Schlüssel und Zulassungspapiere bei sich habe, und wer weiß, wo sich mein Vater befände. Er mußte mit leeren Händen gehen, aber später, bevor meine Eltern Deutschland verließen, bekam er das Auto.

 

Zit. nach Keim, Anton Maria (Hg.): „Als die letzten Hoffnungen verbrannten…“. Dokumentation zu einem Projekt der Stadt Mainz, Mainz 1988, S. 119-120.